„Das ist gefährlich, lebensgefährlich: Zu viel Gefühl.“ (Die Prinzen, Blaue Augen)
Zehn Thesen zu „Gefühl“
0. „Berta: Nach Gefühl. Eine Hausfrau hat das im Gefühl.“ (Loriot, Das Frühstücksei)
Eine Abgrenzung: Was ist ein Gefühl? Descartes nennt Freude, Traurigkeit, Verwunderung, Liebe, Hass und Begehren. Doch für meine Thesen brauche ich keine wissenschaftliche Abgrenzung und auch keine Diskussion mit Descartes. Nur soll mit Gefühl nicht Meinen, Denken, Glauben, Behaupten usw. gemeint sein. Z.B. „Ich fühle, dass du …“ Gemeint ist „Ich meine, behaupte, glaube usw., du …“.
In der Therapie spielen die Gefühle eine wichtige Rolle. Die Klientin bzw. der Klient sollen ihre Gefühle fühlen oder erkennen, die wahren Gefühle. Wenn man nun das Gefühl oder die Gefühle gefunden hat, ist man/frau (Klient*in) ein gutes Stück weiter. Bisweilen hat man/frau mit dem gefundenen Gefühl die Lösung (oder auch nicht).
Die Thesen können miteinander in Verbindung stehen, müssen sie aber nicht. Es besteht auch kein Anspruch auf Vollständigkeit und kein Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Es sind meine Gedanken. Wertvoll ist jeder Gedanke, der durch meine ausgelöst wird, auch wenn er im Widerspruch steht.
1. Du sollst nicht fühlen. – Gefühle sind gefährlich.
Wenn Gefühle das Konstrukt meines Ichs und meines Lebens gefährden, werden sie gefährlich. Dann ist es besser, nicht zu fühlen, als das Risiko einzugehen, jegliche Sicherheit zu verlieren. Es ist eine Entscheidung, die für meine Sicherheit und innere Stabilität von Wert ist, oder eine Entscheidung für das Risiko.
2. Es gibt kein reines Gefühl.
Das Fühlen lässt sich nicht vom Denken lösen. In dem Moment, wo ich ein Gefühl benenne, es versprachliche, ist es bereits Teil meines Denkens, meiner Vernunft. Ein ausschließlich gefühltes Gefühl ist mir nicht zugängig.
3. Aus einem Fühlen kann kein Handeln folgen.
Ein Gefühl befreit mich nicht von meiner Verantwortung. Verliebe ich mich, ist damit nicht die Entscheidung getroffen, ob ich diesem Gefühl folge oder nicht. Es sagt mir nicht, was ich tun soll. Mein Handeln ist meine Entscheidung, die ich verantworte, und nicht die – wenn man so sagen mag – Entscheidung meines Gefühls.
4. Gleiche Gefühle sind in der Regel nie gleich.
Weder mein Gefühl noch das Gefühl eines anderen ist gleich. Ich weiß nicht, wenn ich z.B. „Liebe“ sage, ob jemand anderes mit diesem Wort genau das Gleiche meint. Ich weiß auch nicht, wenn ich heute „Liebe“ sage, ob es das Gleiche ist, was ich gestern gesagt habe. Die gleiche Benennung zweier Gefühle macht sie nicht gleich.
5. Gefühle sind kein sicherer Hafen.
Wenn ich weiß, was ich fühle, weiß ich noch nicht, was ich oder wer ich bin. Die Konstruktion meines Ichs und meines Lebens wird nicht durch meine Gefühle alleine bestimmt.
6. Cogito Sentio ergo sum. – Ich Fühle also bin ich.
Meine Gefühle sind kein unerschütterlicher Grund, auf den ich mich berufen kann. Ich bin erst durch das Denken über meine Gefühle. Erst durch mein Bewusstsein meiner Gefühle wird mein Fühlen Teil meiner Welt.
7. „Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“ (Metropolis) – Ist das Herz die Heimat der Gefühle?
Das „Herz“ ist möglicherweise eine eigene Instanz, wo Fühlen, Denken und Handeln aufeinander treffen und einen Ausgleich finden. Vielleicht ist es die Heimat der Intuition. Aber auch diese ist meiner Verantwortung nicht entzogen.
8. Vom Sinn des Fühlens.
Das Fühlen ist eine wichtige Ressource, die mir bei meinen konkreten Entscheidungen hilft und auch der Konstruktion meines Ichs und meines Lebens beeinflusst. Wenn ich einen Zugang zu meinen Gefühlen habe, ermöglichen sie mir eine schnellere Reaktion, als wenn ich denke. Eine spontane Reaktion kann lebensrettend sein. Die Frage, nach meiner Verantwortung für diese Reaktion, ist dann nachgängig.
9. Der therapeutische Wert der Gefühle ist das Sprechen über Gefühle.
Im Dialog, im Sprechen, nähere ich mich dem, was ein Gefühl bedeuten könnte. Im Sprechen-über entsteh eine neue Wirklichkeit, die möglicherweise hilfreich ist, eine neue Sichtweise zu entwickeln und Lösungen zu finden, die angemessener oder weniger belastend sind. Im therapeutischen Prozess ist auch das Gefühl wertvoll, zu dem (im Moment) kein Zugang besteht. Es könne ja einen guten Grund geben.
10. „Thank you for hearing me“ (Sinéad O‘Connor) – Wohin mit meinen Gefühlen?
Danke für mein Fühlen. Danke für alles. Ich will es liebevoll annehmen. – Vielleicht ist dies ein Zugang zu meinen Gefühlen, die sie mir für mein Leben hilfreich machen. Meine Gefühle dürfen schön sein. Sie dürfen auch schwer sein. Sie dürfen auch mein Konstrukt meines Ichs und meines Lebens durcheinander bringen, so dass eine Neukonstruktion von Nöten ist. Sie werden mich allerdings nie von der Verantwortung für mein Denken, Reden und Handeln befreien.